Projektbesuch im Flüchtlingslager
Der Musiker Arne Kopfermann engagiert sich seit vielen Jahren als Botschafter und Initiator des Sara Projekts für World Vision. Die Erlöse des Verkaufs seiner letzten CD und des gleichnamigen Buches „Mitten aus dem Leben“ spendet er zu 100 Prozent. Im November 2017 reiste er gemeinsam mit einem Team von World Vision nach Jordanien und besuchte dort syrische Flüchtlingskinder. In diesem Beitrag berichtet er von den Eindrücken dieser Reise und davon, woher er seine Motivation nimmt, Kindern in Not zu helfen.
Meine Frau und ich haben im September 2014 unsere 10-jährige Tochter Sara bei einem Autounfall verloren. Und eine der Begleiterscheinungen eines solch unsäglichen Verlustes ist, dass sich der Trauernde vor die Wahl gestellt sieht: Entweder er zerbricht daran, verschließt sein Herz und wird depressiv, mutlos, kalt, bitter oder zynisch – oder er bekommt auf dem Wege der Verarbeitung ein größeres Herz, in dem leidende Menschen mehr Platz haben als vorher. In unserem Fall insbesondere Kinder. Von den 65 Millionen Menschen, die im Jahr 2017 auf der Flucht sind, machen sie mehr als 50% aus. Und was sie bereits in jungen Jahren erleiden, sollte kein Kind erleben müssen. Deswegen haben sich meine Frau und ich entschlossen, unter der Flagge von World Vision das Sara Projekt ins Leben zu rufen - als feststand, dass ich in diesem Sommer das Buch „Mitten aus dem Leben“ und die gleichnamige Doppel-CD veröffentliche, um Außenstehende an meinem Erleben der Trauer und der Verarbeitung teilhaben zu lassen. Unsere Erlöse fließen zu 100% in dieses Sara Projekt, das in erster Linie dem Ziel gewidmet ist, traumatisierten Flüchtlingskindern beizustehen.
Und so habe ich mich Mitte November mit einem World Vision-Team auf den Weg nach Jordanien gemacht, um dort vor Ort einen Eindruck zu gewinnen, welche konkrete Hilfe World Vision unter syrischen Flüchtlingskindern leistet. Schon der Besuch der Hauptstadt Amman hat uns bewegt. Arm und reich, Lebensfreude und die Nachwehen einer schrecklichen humanitären Krise, die 1,5 Mio Flüchtlinge in ein 9 Mio Land gespült hat, bilden einen bedrückenden Kontrast, der die jordanische Metropole prägt.
Der Besuch eines Flüchtlingslagers wird immer etwas Verstörendes, Widernatürliches haben. Man sagt, dass die Flüchtlingslager von heute die neuen Städte von morgen sind, aber ein von Maschendraht eingezäuntes und von der Armee abgeschottetes Leben sollte keine Normalität sein. Das Lager in Azraq, das wir besucht haben, liegt ungefähr 1 ½ Autostunden von der Hauptstadt entfernt - mitten in der Wüste, unweit der syrischen Grenze. 35.000 Flüchtlinge leben in den 6 Dörfern, in die der Gesamtkomplex unterteilt ist, die Hälfte davon Kinder. Die Fahrt durch das Camp geht wohl deswegen so zu Herzen, weil die überall gleich gestalteten, ärmlichen Behausungen dem Besucher schonungslos vor Augen führen, dass dieses Leben im beständigen Provisorium nur bedingt menschenwürdig ist.
Umso krasser dann der Kontrast, inmitten dieser Trostlosigkeit fröhliche Kinderaugen zu sehen. Weil Liebe selbst harte Herzen erobert und Schönheit im Auge des Betrachters liegt. World Vision hat in einem der 6 Dörfer einen Kindergarten gebaut, in dem in zwei Schichten jeweils 150 Kinder 3 Stunden lang betreut werden. Und man hat sofort den Eindruck, dass diese Stunden für sie Lichtblicke sind, und die schönsten Momente des Tages. Zeiten kindlicher Ausgelassenheit, in denen sie erzählen, hüpfen, singen und malen und so ganz kindgerecht spielerisch Vieles von dem Unerträglichen für einige Stunden hinter sich lassen können, was ihrem Leben wie ein dunkler Schatten folgt. Selten habe ich einen Ort gesehen, wo Kinder so friedlich mit einander gespielt haben. Und die Leiterin dieser Oase äußert ganz freimütig, dass sie für die ihr anvertrauten Kleinen eher Muttergefühle empfindet als professionelle Distanz. So ertappe ich mich dabei, stundenlang zu lächeln und zu lachen, obwohl dies doch eigentlich ein bedrückender Ort ist. Und mir wird bewusst, dass es wenig braucht, um dem Herzen eines Kindes Freude zu schenken! Das Sicherheit, Geborgenheit, ein wenig Leichtigkeit und das Empfinden, in den eigenen Bedürfnissen wahrgenommen zu werden, oft vielmehr Wert hat als materielle Schätze. Das macht mich im gleichen Maße betroffen und froh.
Durch die humanitäre Welt geistert seit geraumer Zeit ein neues Modewort: Resilienz. Es steht dafür, eine Widerstandsfähigkeit zu entwickeln, die uns erlaubt, sich den harten Zeiten des Lebens entgegen stellen zu können, ohne selbst hart und bitter zu werden. Die uns darauf ausrichtet, Licht am Ende des Tunnels zu sehen, hoffnungsvoll zu leben und selbst Hoffnungsschenkende zu werden. Meine Familie und ich haben viel verloren. Aber wir sind auch – und trotzdem noch – Begünstigte. Geliebte. Getragene. Reich Beschenkte. Die eine Stimme haben, die sie gegen Leid und Ungerechtigkeit erheben können. Und gegen die Hoffnungs- und Trostlosigkeit einer Welt, die unsere Existenz mitunter an den Rand des Erträglichen bringt. Diese Stimme soll gehört werden. Auch durch das Sara Projekt.
Denn der Schmerz und die Schönheit sind zwei Seiten einer Münze. Ja, das Leid und der Glaube widersprechen sich nicht. Da ist kein Licht ohne Schatten, kein Vertrauen ohne Zweifel. Doch am Ende bleibt Schönheit und der Schatten verweist aufs Licht. (aus dem Lied von Arne Kopfermann - "Dann sehe ich Dich")