Horror in Kinderträumen
Unter den bunten Tüchern ihres von den Eltern gebauten Zeltes fühlt sich Somsida am sichersten. Hier hellt sich ihr ernstes Gesicht, wenn sie mit den Geschwistern reden, herumalbern oder ein bisschen kuscheln kann. Draußen hat sie dagegen das ganze Elend der aus Myanmar vertriebenen bzw. geflüchteten Rohingya vor Augen: ein Meer an Notbehausungen aus Bambusstöcken, Tüchern und Plastikplanen auf einem mal staubigen, mal matschigen Hügel. Brennende Sonne und flutartige Regengüsse wechseln sich ab.
Mehr als 200.000 Kinder sind seit August aus ihrer Heimat im Norden von Myanmar nach Bangladesch geflohen, weil im Rakhaing-Staat ein Konflikt um Anerkennung und Unabhängigkeit der muslimischen Rohingya-Minderheit eskaliert ist. Da die offiziellen Flüchtlingscamps überfüllt sind, ziehen viele von ihnen mit ihren Familien von Ort zu Ort, um eine sichere Bleibe zu finden. Das macht es für Hilfsorganisationen und auch für die Regierung schwierig, eine gute Versorgung für mindestens eine halbe Million Menschen aufzubauen. Insofern zählt Somsida momentan zu den glücklicheren Kindern.
„Ich wünschte, ich könnte hier spielen wie in meinem Dorf“, sagt Somsida. „Dafür ist hier aber kein Platz und meine Freunde sind auch nicht hier“, bedauert die Elfjährige. „Wir Kinder laufen einfach durch das Lager.“ Dass es keine Toiletten gibt, findet das Mädchen noch unangenehmer. „Wir stehen früh auf und laufen in den Dschungel. Viele Mädchen machen das wie ich. Es ist ein langer Weg, und jeder kann uns beobachten. Manche Männer gehen vorbei und werfen mit Schlamm nach uns, um uns zu ärgern. Ich fürchte mich auch vor Schlangen und Blutegeln.“
Am schlimmsten sind für Somsida aber die Nächte. „In meinen Träumen sehe ich Menschen rennen, weinen, schreien, kämpfen und plötzlich wache ich dann auf voller Angst“, erzählt das Mädchen.
Somsidas Mutter Rabban, die selbst kaum zur Ruhe kommt, muss ihre Tochter und auch deren Geschwister in solchen Momenten trösten. Sie wäre dankbar für professionelle Hilfe, denn sie macht sich Sorgen um ihre Kinder, weil sie das Erlebte nicht vergessen können.
Rabban berichtet von dem Horror: „Unsere Leute wurden getötet und ein Haus nach dem anderen angezündet. Wir konnten fliehen, als zwei Brüder von Somsidas Vater getötet wurden. Aber von unserem nah gelegenen Versteck aus haben wir alles gesehen. Meine Kinder und ich hatten zu große Angst zurück zu kehren. Vielleicht wären wir ja die nächsten?“ Das Dorf zu verlassen, sei trotzdem sehr schmerzhaft für sie gewesen, und die Flucht mit den verängstigten Kindern eine Tortur. Vor allem Somsida habe immer wieder geweint.
Das Mädchen wünscht sich bald wieder in die Schule gehen zu können. „Ich möchte später Lehrerin werden“, verrät sie. „Wenn das Kämpfen zuhause aufhört, will ich zurück in mein Dorf und weiter lernen.“ Ob und wann dieser Wunsch in Erfüllung gehen kann, weiß derzeit jedoch niemand.
Zugang zu ausgewogener Nahrung haben die meisten geflüchteten Kinder bisher auch nicht. Selbst für drei Mahlzeiten am Tag reicht das Geld oft nicht. Somsida vermisst besonders die vielen Sorten Fisch, die sie zuhause immer essen konnten. „Maitta ist mein Lieblingsfisch, weil er köstlich schmeckt und wenig Gräten hat“, erzählt sie. „Hier können wir uns nur Reisfladen und Gur (Melasse) leisten. Es gibt jeden Tag das Gleiche.“
Einen Lichtblick gab es aber diese Woche für Somsida: von World Vision bekam ihre Familie - als eine von 3.050 notleidenden Familien - einen großen Sack Reis sowie Linsen, Zucker, Salz und Speiseöl. Ein Vorrat für zwei Monate, der geschwächten Kindern wieder zu Kräften verhelfen wird.
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