Kleiner Schatz im Fluchtgepäck macht viele satt
Autor: Markes Nonkes
Aufgeben und die Hände in den Schoß legen - für Mohammed kommt das nicht in Frage. Nicht solange er eine Handvoll Samen besitzt, die man in fruchtbaren Boden setzen kann. „Ich bin Bauer, wie schon mein Vater und davor mein Großvater. Ich will meine Familie selbst ernähren, mit dem was ich anbaue.“ Das erklärt mir der 54-jährige Sudanese, den ich in einem großen kenianischen Flüchtlingscamp treffe.
Zweimal, so erzählt mir Mohammed, musste er seine Felder zurücklassen. Das erste Mal wegen des Terrors, dann verwandelte die Dürre seine Felder in ödes Brachland. Doch jetzt steht der Sudanese wieder inmitten eines blühenden Ackers und zeigt mir stolz, was hier wächst und gedeiht: Wassermelonen, Kürbisse, Mais und Gurken. Eine grüne Oase inmitten der staubigen Landschaft, die das Camp umgibt. Entstanden durch harte Arbeit, möglich gemacht durch Hilfe zur Selbsthilfe. Und durch die Pflanzensamen von Mohammed, die er trotz aller Rückschläge immer aufbewahrt hat.
Ursprünglich stammt der zehnfache Vater aus Darfur. Dort ging es der Familie gut, sie besaß viel Ackerland, die Gemüse- und Getreideernte fiel jedes Jahr reichlich aus. Dann kam der Terror. „Die Dörfer wurden angegriffen, ich weiß nicht um welche Probleme es ging“, berichtet Mohammed leise. „Häuser wurden angezündet. Mädchen vergewaltigt, Menschen getötet. Auch meine Brüder und Schwestern.“ Seine Stimme bricht, er weint.
Mohammed hatte keine Wahl. Er floh mit seiner Familie, seinen beiden Frauen, den sieben Söhnen und drei Töchtern. Das einzige, was er von zu Hause mitnahm: eine Tüte Samen.
In Juba, der Hauptstadt des Südsudan, versuchte er, sich eine neue Existenz aufzubauen. Da es keine Möglichkeit gab, ein eigenes Feld zu bestellen, verdingte er sich als Schuster. Er versuchte sein vergangenes Leben zu vergessen. Doch andere vergaßen nicht ihre Feinde, und so kam der Krieg 2013 auch dorthin. Wieder floh Mohammed mit seiner Familie, wieder nahm er die Samen mit.
Vor drei Jahren kam er nach Kenia in ein Flüchtlingscamp mit 160.000 Bewohnern (Kakuma). Hier musste Mohammed eine ganz neue Erfahrung machen: Er war von anderen abhängig. Das Essen wurde ihm zugeteilt, ebenso wie die täglichen Rationen Wasser. Arbeiten außerhalb des Camps durfte er nicht, das ist in Kenia verboten. Dieses Nichtstun war für ihn kaum zu ertragen. Doch schon nach wenigen Wochen fand er eine neue Aufgabe. „Außerhalb des Camps entdeckte ich ein Stück zugewuchertes Land, das keinem zu gehören schien. Also machten mein ältester Sohn und ich uns an die Arbeit.“ Sie rodeten, entfernten Wurzeln, gruben mit den Händen einen Brunnen aus. „Dann holte ich meine alten Samen und säte sie ein.“
Nach monatelangem Jäten und Wässern wurde aus der Brache ein grünes Feld voll Okra und Ombra, einem spinatartigen Gemüse. Mohammed erntete, behielt Saatgut zurück, vergrößerte die Felder. Die Samen tauschte er mit Bauern aus den umliegenden Orten und bald erntete er auch Süßkartoffeln, Korn, Wassermelonen und anderes Gemüse.
Dann fiel der Regen aus. Der Brunnen versandete. Mohammed grub tiefer und tiefer. Vergeblich. Es kam kein Wasser. Hilflos musste er zusehen, wie seine Pflanzen vertrockneten. Schweren Herzens gab er sein Feld auf.
Das war vergangenes Jahr. Anfang diesen Jahres wendete sich Mohammeds Schicksal erneut. World Vision startete gemeinsam mit Action Africa Help-International (AAHI) ein Gartenbauprojekt, als Hilfe zur Selbsthilfe: 200 Familien sollten sich sieben Hektar Land teilen und es beackern. Das Land erhielt einen solarbetriebenen Brunnen, der bis in 72 Meter Tiefe reicht.
Die Flüchtlinge erhielten Werkzeug und Schulungen. Mohammed war einer der ersten, der mitmachte. Sein 15-jähriger Sohn Nejmadin, der während unseres Gespräches übersetzt, erzählt stolz, dass sein Vater schnell zum inoffiziellen Sprecher der Gruppe wurde. Mohammed hat den Schlüssel für das Tor, ist der Erste der kommt, der Letzte der geht. Wenn seine Kinder schulfrei haben, helfen sie ihm, wässern die Pflanzen. Seine Ernte ist die größte. Einige Familien, darunter auch Mohammeds, konnten von ihren Erträgen sogar ein altes Motorrad kaufen. Damit transportieren sie die Früchte zum Markt. Das Projekt ist so erfolgreich, dass der Garten jetzt sogar auf 20 Hektar erweitert werden soll. Mohammed strahlt, als er mir davon erzählt.
Am Ende unseres langen Gespräches schenkt er mir einige Kürbissamen. Ich werde sie bei mir zu Hause einpflanzen. Als Symbol der Hoffnung.