Solarenergie verschiebt die Grenzen des Horizonts
Autor: Iris Manner
Bilder: Steffen Kugler
Mit einem Knopfdruck kann Sarah Omolo beweisen, dass sie keinen Humbug verkauft. Eine Lampe über ihrem Arbeitstisch leuchtet hell auf. Man erkennt mühelos alle Dinge, die das einfach aus Lehm und dicken Ästen gebaute Einzimmer-Häuschen beherbergt.
Die 39 Jahre alte Kenianerin hat uns in ihr Büro geführt, das gleichzeitig auch als Laden dient. In einer Ecke des Raumes hat sie neben Rechnungsbüchern und Broschüren gelbe Pakete gestapelt. Gerne erklärt sie sich bereit mir den Inhalt eines Pakets zu zeigen und zu erklären.
Zu einem Solar-Set für den Hausgebrauch gehören vier Lampen mit Kabeln, ein Solarpanel und ein Akku bzw. eine Ladestation. "Die Anschaffung lohnt sich", meint Sarah. "Man hat sauberes Licht, wann immer man es braucht, und dazu noch Strom zum Aufladen von Mobiltelefonen oder zum Radio-Hören. Man spart Zeit und Geld, weil man nicht mehr teuren Brennstoff kaufen oder sein Telefon in die Stadt bringen muss."
Ein paar Schritte vom Büro entfernt kann man sich auch anschauen, wie Sarah und ihre Nachbarn die klimafreundliche Technik in ihren Alltag integriert haben. Unter den für afrikanische Dörfer heute typischen Wellblech-Dächern wird im Schein des Solarlichts gekocht, gegessen, gearbeitet - und vor allem studiert.
Drei eigene Kinder und zwei adoptierte Jungen machen bei Sarah Omolo abends ihre Schulaufgaben. Tochter Janet liest und schreibt außerdem Briefe, denn sie ist im Patenschaftsprogramm des Projekts Karemo.
Ich kann mit diesem Licht viel besser lesen als mit einer Kerosinlampe
Ich frage Sarah wie groß denn die Nachfrage nach Solarlicht sei und ob sie als Händlerin wirklich damit etwas verdienen kann. Sie antwortet: "Ja, die Nachfrage ist da, weil viele Schulkinder, die zuhause bisher kein Licht haben, über Augenschmerzen klagen. Und wenn wir Dorfversammlungen oder Treffen mit anderen Gruppen aus der Umgebung haben, stelle ich die Vorteile der Solarenergie vor."
Sarah erklärt mir aber weiter, dass sie in den Handel wohl nur deshalb einsteigen konnte, weil sie nicht als Einzelkämpferin unterwegs ist, sondern sich mit anderen Frauen zu einem Gemeinschaftsunternehmen zusammen getan hat. Die "Visitenkarte" dieses Gemeinschaftsunternehmens hängt direkt vor dem Eingang des Büros. Ich muss den Kopf einziehen, um nicht schmerzliche Bekanntschaft mit dieser Visitenkarte zu machen. Vielleicht ist das Absicht, damit man sich den Namen einprägt: "Kogel'o Jiw-Pachi".
Kogel'o heißt der Ort. Aber was bedeutet "Jiw-Pachi"? Sarah erklärt es mir: "Erweitere deinen Horizont." Sehr passend für einen lokalen Partner von World Vision finde ich diesen Namen.
Wir sind in einem Dorf des Bezirks Siaya, rund 60 Kilometer nordwestlich von Kenias drittgrößter Stadt Kisumu, nicht weit vom Viktoriasee. Die Häuser sind hier noch nicht ans Stromnetz angeschlossen, und auf den ersten Blick ist schwer vorstellbar, wie man hier seinen Horizont erweitern soll. Doch ich erfahre durch Sarah Omolo, dass eine Gruppe wie "Jiw-Pachi" so etwas wie eine Brutstation für neue Ideen und Erfahrungen ist - besonders für Landfrauen wie sie, die viel Arbeit haben, aber wenig Chancen zur persönlichen Entwicklung bekommen.
"Durch Zusammenarbeit mit World Vision haben wir als Gruppe viel Neues gelernt - über moderne Landwirtschaft, über Umweltschutz und auch über unsere Möglichkeiten, einen höheren Gewinn aus unserer Arbeit zu erzielen. Wir setzen dieses Wissen jetzt bei vielen Aktivitäten um, und das hat uns in die Lage versetzt, unsere Kinder besser zu unterstützen. Wir sind auch unabhängiger von den Männern. Deshalb kann ich sagen, dass "Jiw-Pachi" mein Leben wirklich verändert hat."
Durch Zusammenarbeit mit World Vision haben wir als Gruppe viel Neues gelernt und können unsere Kinder besser unterstützen.
Durch eine World Vision-Schulung lernte Sarah auch die Solarenergie kennen. Mitarbeiter von World Vision Kenia hatten Vertreter verschiedener Solarfirmen zur Präsentation eingeladen.
„Wir haben den Kontakt vermittelt und anfangs auch selbst einige Haushalte mit Solaranlagen ausgestattet, um den Handel in Gang zu bringen“, erläutert Jared Awiti, Berater für Einkommensförderung und Krisenvorsorge im Karemo-Programm . „Das dient mehreren Zielen: die Familien erhalten umweltfreundliche Energie, die auch gesünder und auf Dauer billiger ist, und gleichzeitig erhalten Kleinunternehmer und Unternehmerinnen wie Sarah Omolo einen dauerhaften Verdienst.“
Die in Kenia ansässigen Solar-Firmen haben sich darauf eingestellt, dass viele Familien auf dem Land sich die Kosten einer Solaranlage – je nach Typ zwischen 50 und 100 Euro– nur bei Raten-Zahlung leisten können. Man kann bei Vertriebspartnern wie der Organisation "Jiw-Pachi" oder auch mobil bezahlen. Da die Mitglieder von "Jiw-Patchi" gemeinsam sparen und sich untereinander im Dorfbank-System Kredit geben, haben inzwischen alle die Solarenergie bei sich zuhause - obwohl viele der Frauen Witwen und damit Alleinverdiener ihrer Familien sind.
„Alle Frauen hier strengen sich wirklich an, damit ihre Kinder eine gute Bildung erhalten und aus ihrem Leben etwas machen können“, erklärt Sarah die wichtigste Motivation der Gruppe. „Die meisten Mütter hier haben leider nur die Grundschule besucht, und ich selbst konnte nur zwei Jahre lang zur höheren Schule gehen, weil meine Eltern früh gestorben sind“, fährt sie fort. „Dann habe ich einige Jahre als Dienstmädchen gearbeitet. Das war eine harte Zeit. Die Umstände zwangen mich zu heiraten. Ich bekam drei Kinder und hatte große Mühe für ausreichend zu sorgen. Nach 17 Jahren habe ich dann beschlossen noch einmal zur Schule zu gehen, und 2013 habe ich endlich mein Zertifikat der Sekundarschule bekommen. Damit kann man hier schon einiges machen.“ Als Sarah dies erzählt, blitzen Stolz und Zufriedenheit in ihrem Gesicht auf.
Kann sie bei ihren eigenen Kindern schon Auswirkungen des erweiterten Horizonts feststellen? "Ja, antwortet Sarah sofort. "Meine älteste Tochter will Umweltmanagerin werden. Und ich glaube, sie wird das auch schaffen."