Zurück nach Gulu
Ein Bericht von Eva Martin
„Noh Gulu“ heißt ein bekanntes Lied von Wolfgang Niedecken, dem Frontmann der Kölner Rockband BAP. Den Song hat er vor einigen Jahren den Kindersoldaten in Norduganda gewidmet, deren Schicksal ihn auf seiner Reise in das ostafrikanische Land 2004 tief bewegt hatte. Zu diesem Zeitpunkt regierte die Terrormiliz LRA unter ihrem Anführer Joseph Kony das Land und entführte Kinder, um sie als Soldaten zu missbrauchen.
Wie alles begann
Seitdem ist viel passiert. Wolfgang Niedecken gründete vor zehn Jahren zusammen mit World Vision und Jack Wolfskin das Projekt Rebound, ein Resozialisierungsprojekt für ehemalige Kindersoldaten und ermöglichte damit hunderten von Kindern eine Berufsausbildung und die Chance auf eine Zukunft. Viele Jahre sind seitdem vergangen, das Projekt wurde mittlerweile ebenfalls in der Demokratischen Republik Kongo gegründet, einem Land, in dem Frieden und Ruhe so unendlich weit entfernt sind und nahezu alle Kinder vom Krieg betroffen sind.
In Uganda ist der Krieg seit 2008 vorüber, doch die Nachwehen sind überall spürbar. Es ist eine Herzensangelegenheit von Wolfgang Niedecken, an den Ort zurück zu kommen, an dem alles begann. Der Ort, in dem er 2004 ein Auffanglager von World Vision besuchte, in dem Kinder waren, die entweder fliehen konnten oder vom Militär befreit wurden. Kinder, die so schwer traumatisiert waren, dass es dem Musiker die Sprache verschlug.
Auf nach Gulu
Wir fliegen mit einer kleinen Gruppe aus World Vision Mitarbeitern, Journalisten und dem Ehepaar Wolfgang und Tina Niedecken über Brüssel nach Entebbe und von dort aus mit einer kleinen Maschine in den Norden des Landes – nach Gulu.
Noch vor zehn Jahren gab es hier hauptsächlich Flüchtlingslager, in denen die Menschen vom Militär bewacht lebten. Die Felder lagen brach, weil sich niemand mehr dorthin wagte, weil die Rebellen einen jederzeit überfallen konnten. Die Menschen lebten in Angst und Schrecken vor weiteren Überfällen. Von Krieg ist heute augenscheinlich nichts mehr zu spüren. Die Kleinstadt boomt, es gibt Märkte, Geschäfte, bestellte Felder soweit das Auge reicht und auch ganz viel Fröhlichkeit und Hoffnung. Wir treffen junge Männer und Frauen, die als ehemalige Kindersoldaten nun versuchen, ein eigenständiges Leben zu führen.
Die Nachwehen des Krieges sind immer noch spürbar
Da ist die junge Frau Santa, die als 10-Jährige entführt wurde, acht Jahre bei den Rebellen lebte und in der Gefangenschaft zwei Kinder gebar. Nach ihrer Flucht kam sie schwer verletzt in das Rehabilitations-Center von World Vision, in dem sie zunächst medizinisch versorgt wurde und man ihre Ursprungsfamilie ausfindig machte. Doch ihre eigene Mutter wollte nichts mehr von ihrer Tochter wissen, zu groß war die Schande über die beiden Kinder, die aus einer Vergewaltigung hervorgingen.
Santa schloss sich zunächst einer Gruppe von Frauen an, die das gleiche Schicksal hatten, doch auch dort konnte sie nicht lange bleiben. Sie lernte einen Mann kennen, dem sie zwei weitere Kinder gebar, doch dieser verließ sie und ihre vier Kinder. Santa zog in eine Hütte, die auf dem Land ihres verstorbenen Vaters liegt, und bestellte dort einige Felder. Hier zieht sie nun ihre vier Kinder groß. Nur der Älteste kann zur Schule gehen, für die anderen fehlt das Geld für die Schulgebühren. Auch wenn der Krieg schon zehn Jahre vergangen ist, sind die Nachwehen gerade bei solchen Frauen immer noch präsent und spürbar.
Wir lernen am gleichen Tag aber auch eine Gruppe von Männern und Frauen kennen, bei denen die Versöhnung mit den Dorfbewohnern offenbar gelungen ist. 22 ehemalige Kindersoldaten bzw. von der LRA entführte Jugendliche hatten sich nach ihrer Zeit im Rehabilitationszentrum dazu entschlossen gemeinsam Landwirtschaft zu betreiben. "Wir konnten ja während des Krieges keine Ausbildung machen", begründet ihr Sprecher Samuel diese Entscheidung. Sie bekamen ein Stück Land, und World Vision unterstützte sie mit Beratung und Ausrüstung. Sie investieren, arbeiten und sparen nach gemeinsam festgelegten Regeln. In den letzten vier Jahren haben sich mehr als 30 Dorfbewohner der Gruppe angeschlossen, weil sie die Erfolge gesehen haben. Bei der gemeinsamen Feldarbeit konnten sie miteinander sprechen und Vertrauen aufbauen.
Das Kalongo Technical Institute
Wir fahren weiter nach Kalongo, einer Kleinstadt, die etwa zwei Autostunden von Gulu entfernt liegt. Hier wurde 2008 das erste Rebound Center gegründet. Wir haben das Projekt an eine bestehende Berufsschule angegliedert, in der damals nur einige Jungen unterrichtet wurden. World Vision baute mit den Spenden von Jack Wolfskin und BAP einen Schlafsaal, in dem die Jungen unter der Woche übernachten konnten, damit sie nicht jeden Tag so viele Stunden nach Hause laufen mussten und dann eventuell dem Unterricht fernblieben. Außerdem wurden die Kinder, die alle vom Krieg betroffen waren, psychosozial unterstützt und mit Werkzeugen ausgestattet, damit sie einen Beruf erlernen konnten.
Wir staunen nicht schlecht, als wir auf das heutige Gebäude treffen! Die Schule, die sich Kalongo Technical Institute nennt, ist mittlerweile ein riesengroßes Areal an Gebäuden, Gärten, Schlafsälen, einem Computerraum und einer Bibliothek geworden. Inzwischen werden dort auch Mädchen unterrichtet. Zurzeit werden dort 348 Schüler ausgebildet, im Jahr 2007 waren es noch 98.
Es hat sich viel getan
Der Schuldirektor ist derselbe von damals und führt uns stolz herum, glücklich, dass Wolfgang Niedecken noch einmal in diese abgelegene Gegend reist, um nach seinem alten Projekt zu schauen. Uns wird erklärt, dass die ugandische Regierung nach der Gründung von Rebound, Geld für die Ausweitung des Projektes gegeben hat. Das macht uns natürlich sehr froh, denn die Ausbildung von Kindern sollte auch von der Regierung getragen werden und wenn wir mit unserem Projekt dafür gesorgt haben, dass sich die Regierung engagiert, haben wir alles richtig gemacht.
Unsere damaligen Ausbildungsmodule waren Schreinern, Bauwesen und Schneidern. Nun werden zusätzlich noch die Berufe Elektriker, Mechaniker und Landwirt gelehrt. Es gibt auf dem Gelände eine Hühner- und Schweinezucht, deren Erträge auf dem Markt verkauft werden. Zusätzlich werden Gemüse und Getreide angebaut. Unser Schlafsaal ist weiterhin in Gebrauch und wurde zusätzlich durch drei weitere ergänzt. Alle Schüler schlafen unter Moskitonetzen.
Die Jugendlichen werden nicht nur in ihren Berufen geschult, sie nehmen an Sportkursen und Theaterstücken teil, um auch ihre Vergangenheit zu verarbeiten. Für die Zukunft sind ein Solarsystem und eine eigene Wasserleitung zur Schule geplant.
Vorher - nachher
2009 pflanzte Wolfgang Niedecken zur Einweihung des Schlafsaals einen Baum. Dieser ist in den vergangenen neun Jahren zu einem stattlichen Baum gewachsen und spendet Schatten vor dem Schlafsaal, der nun auch nach Wolfgang benannt werden soll.
Absolvent Joseph
Natürlich interessiert uns auch, was aus den ehemaligen Rebound-Absolventen geworden ist. Wir fahren in die Stadt, in der einige von ihnen nun arbeiten. Joseph ist mittlerweile Tischler und hat einige Angestellte aus dem Dorf. Er stellt Betten, Stühle und Tische her, die er verkauft und somit seine Familie ernähren kann. Joseph hat beide Eltern im Krieg verloren und durfte am Rebound-Projekt teilnehmen. Dadurch hat er eine Chance bekommen, einen Beruf zu erlernen und sich eine Zukunft aufzubauen. Wir freuen uns sehr, dass es ihm heute so gut geht.
Absolvent David
David arbeitet als Schweißer. Er hat vor sieben Jahren seine Ausbildung im Rebound-Center abgeschlossen und sich sein eigenes Business aufgebaut. Auch er ist ein ehemaliger Kindersoldat, der nun selbst ehemalige Kindersoldaten anstellt und sie ausbildet.
Es ist schön zu sehen, dass die Jugendlichen ihre Chance genutzt haben und selbstständig leben können. Natürlich kann man die Vergangenheit und das Erlebte nicht löschen, doch wir konnten ihnen zumindest helfen, weiter zu leben und Hoffnung zu schöpfen.
© Fotos von Tina Niedecken