Beschützerin staatenloser Kinder
Die Nachrichten abschalten und weiter leben wie bisher? Shushanna Shampa Kundu konnte das einfach nicht. Als im August 2017 plötzlich Dörfer in Myanmar in Flammen aufgingen und der Zustrom von Flüchtlingen nach Bangladesch täglich anschwoll, kamen der jungen Finanzbuchhalterin aus Bangladesch andere Gedanken. Bald wurden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für humanitäre Hilfe gesucht, und so tauschte sie ihre potentielle Firmenkarriere gegen einen rauhen Job im rasant wachsenden Flüchtlingslager.
Es ist die Angst der Kinder, die Shushanna zuerst in den Sinn kommt, wenn sie an den Anfang ihrer humanitären Arbeit in der Grenzregion Cox' Bazar zurückdenkt. "Viele Kinder waren so gestresst von ihren furchtbaren Erlebnissen, dass sie sich aggressiv verhielten und niemandem trauten ", erinnert sich die 31 jährige langsam sprechend. "Kinder haben uns gesagt, dass sie sich auch hier nicht sicher fühlen", sagt Shushanna. "Sie sagten, sie fürchten, dass ihnen in der Nacht etwas passieren könnte, während sie schliefen." Shushanna war entschlossen, dabei zu helfen, das zu ändern.
Die Buchhaltung hat mich frustriert", sagt Shushanna, mit einem schüchternen Lachen.
Ich fühlte mich gesegnet, als Gott mir die Chance gab, hier zu arbeiten, weil ich Kinder liebe.
Heute leitet Shampa bei World Vision ein Team von 30 Kinderschutz-Mitarbeitern, Mitarbeiterinnen und freiwilligen Helfern, die in drei Flüchtlingscamps arbeiten. Ihre Aufgabe ist es, dort lebende Kinder vor Gewalt, Ausbeutung, Missbrauch und Vernachlässigung zu schützen. In der behelfsmäßig aufgebauten Großstadt mit fast 1 Million Einwohnern ist das keine leichte Aufgabe. Mehr als die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner sind minderjährig.
Manche Gefahren für die Kinder sind offensichtlich, andere verborgener. Regnet es stark, wie in den letzten Wochen während der Monsunzeit, können Kinder von Sturzfluten mitgerissen oder durch Erdrutsche verletzt werden. Da es kaum legale Verdienstmöglichkeiten für die staatenlosen Flüchtlinge gibt, können die Kinder leicht ausgebeutet werden. Gewalt in den Familien ist ebenfalls ein wachsendes Problem. Viele Erwachsene leiden unter psychischem Stress und haben Mühe, für ihre Kinder zu sorgen. „Wir erleben viele Misshandlungen bei Kindern, einschließlich körperlicher Bestrafungen und Zwangsehen“, erzählt Shushanna Shampa Kundu. „Wir haben hier reichlich zu tun, um Kinder zu schützen.“
Betreuungsangebote für traumatisierte Kinder
Bildungs-und Betreuungsangebote sind ein bewährtes Mittel zum Stress-Abbau bei Kindern und Eltern. Shampa und ihr Team leiten 11 Zentren, in denen Kinder zusammen spielen, sich entspannen und einfach nur Kinder sein können. Bis zu 3.000 Mädchen und Jungen finden sich täglich in den Zentren ein. Shushanna fördert als begabte Bastlerin die Kreativität der Kinder. Kreideposter und Papierblumen bedecken die Bambuswände der Zentren.
„Wenn die Kinder zeichnen und lernen, vergessen sie für eine Weile ihre Situation“, sagt Shampa. Sie hat eine allmähliche Veränderung in den Kunstwerke der Kinder in den letzten zwei Jahren bemerkt. Die Kinder zeichnen keine Bilder von brennenden Dörfern mehr, basteln auch nur noch selten Figuren mit Waffen. Ihre Zeichnungen zeigen heute oft glücklichere Zeiten in Myanmar - Bauernhöfe, Tiere, Schulen - sowie Szenen aus dem täglichen Leben. „Die Kinder kommen mit lächelnden Gesichtern zu mir, trotz der vielen Hindernisse und Einschränkungen in ihrem Leben“, freut sich Shampa. „Sie motivieren mich, mehr zu tun.“
Durch ihre natürliche Leichtigkeit im Umgang mit Kindern, verdient die Helferin schnell ihr Vertrauen. „Shushanna weiß, wie man schnell mit ihnen auf eine Wellenlänge kommt, damit sie zuhören und sie mit ihnen sprechen kann“, sagt ihr Vorgesetzter James Kamira, Bildungs- und Kinderschutzberater von World Vision. „Sie ist innovativ in der Art und Weise, wie sie sie erreicht.“
Unterstütze die Arbeit von Shushanna
Shushanna sitzt im Schneidersitz auf dem Boden und liest ihrem aufmerksamen Publikum ein Bilderbuch vor. Die Kinder freuen sich auf eine Geschichte. Sie bilden einen engen Kreis um die Vorleserin. Ihre Zuneigung zu ihr ist offensichtlich. „Sie geben mir das Gefühl, dass ich eine von ihnen bin, dass ich selbst wieder ein Kind bin“, lacht sie und blättert eine Seite des Buches mit den Eselsohren um.
Die Kinder sind vielen Gefahren ausgesetzt
Diese Momente helfen der sensiblen Shushanna durchzuhalten, besonders an den anstrengenden Tagen während der Monsunzeit. Verschmutztes Hochwasser und knöcheltiefer Schlamm verwandeln das hügelige, überfüllte Lager in einen gefährlichen Sumpf. Vor kurzem ertranken drei Kinder beim Spielen in einem Bach in der Nähe ihrer Unterkünfte.
Shushanna arbeitete in der Nähe, als sich der Unfall ereignete. „Ich hörte Leute schreien und rennen. Sie trugen die Kinder - zwei von ihnen aus derselben Familie“, erinnert sie sich mit feuchten Augen. „Ich dachte immer wieder: Wir müssen sie retten. Sie haben ihre Heimat verlassen, um ihr Leben zu retten. Wie können sie hier sterben? Es war ein wirklich trauriger Tag in meinem Leben.“ Die Arbeit für die Geflüchteten in Cox‘ Bazar ist emotional aufzehrend. Täglich mit einem Übermaß an Not konfrontiert und mit wenigen dauerhaften Lösungen ausgestattet, packen viele Mitarbeiter schließlich zusammen und gehen. Von Kollegen als "eine Frau mit Kreativität, Mut und Ausdauer" bezeichnet, zeigt Shampa die seltene Widerstandsfähigkeit, die diese langfristige Flüchtlingskrise erfordert.
Menschen ohne Heimat
Die Rohingya werden wahrscheinlich noch viele Jahre die Unterstützung helfender Menschen wie ihr benötigen. Viele wollen zwar in ihre frühere Heimat zurückkehren aber nicht ohne die Garantie, dass dort grundlegende Menschenrechte gewährt werden. Ohne Status in Myanmar oder offizielle Anerkennung in Bangladesch bleiben sie Bürger, die nicht dazugehören.
„Menschlich zu sein bedeutet, sich für den Schutz und die Rechte dieser und aller besonders gefährdeten Menschen einzusetzen“, sagt Shushanna. Sie feiert jeden kleinen Sieg in ihrer schwierigen Arbeit und sieht Anzeichen dafür, dass die Kinder das Leben jeden Tag ein wenig mehr genießen.