Im Krieg schwanger zu sein, bringt Frauen und Mütter in besonders große Nöte. Zur Angst um das eigene Leben, das durch Angriffe und mangelnde Versorgung gefährdet ist, kommt die Angst um das ungeborene Kind und um das Überleben weiterer Kinder. Dank Ihrer Spenden konnte World Vision bereits tausenden Müttern aus der Ukraine in dieser Not wirksam helfen und diese Unterstützung ist - gerade jetzt im Winter - weiterhin dringend nötig, wie die Geschichte von Tatiana zeigt.
Im Chaos massiver Bombenangriffe auf ihre Stadt und mit vielen beängstigenden Geräuschen im Ohr packte Tatiana schnell ein paar Dinge für einen ungeplanten Besuch im Regionalkrankenhaus in der Stadt Sumy im Nordosten der Ukraine. Sie ahnte nicht, dass sie an diesem eiskalten Dezembermorgen ihr zweites Kind, Eldar, zur Welt bringen würde. Die Ärzte hatten ihr gesagt, dass der Geburtstermin erst in drei Monaten sein würde. Tatiana wachte einige Stunden später in völliger Benommenheit auf. Das Piepen der Maschinen in dem kaltweißen Krankenhauszimmer schreckte sie auf und brachte verblasste Bilder zurück: starke Schmerzen, die Fahrt ins Krankenhaus, Ärzte und Dunkelheit, völlige Dunkelheit.
"Mein Körper hat den Stress nicht verkraftet"
Ein paar Meter weiter, im nächsten Raum, standen fünf Inkubatoren in zwei geraden Reihen, in denen fünf handtellergroße Neugeborene lagen. Der kleine Eldar wog nicht mehr als ein Kilogramm. "Er kam drei Monate früher als erwartet zur Welt", erzählt Tatiana. "Die Ärzte sagten mir, dass mein Körper den Stress nicht verkraftet hat", fährt sie fort. Als Tatiana ihr Kind zur Welt brachte, war sie in weniger als einem Jahr zweimal innerhalb der Ukraine vertrieben worden. Von der Stadt Sloviansk in der Region Donezk reiste sie mit dem Zug rund 24 Stunden in den Westen des Landes nach Czernowitz. Nach drei Monaten wurde sie erneut nach Sumy umgesiedelt. "Mein gesamtes neurologisches System versagte", erinnert sie sich.
Dritte Vertreibung
Im Jahr 2014 hatten Tatiana und ihre Familie bereits Krieg erlebt. Sie waren nach Ausbruch der Kämpfe zwischen ukrainischer Armee und Separatisten in Sloviansk geblieben, und sie war sich sicher, dass sie auch dieses Mal nicht gehen würde. Sie wollte ihr Kind auf die Welt bringen, umgeben von Familie und Liebe. Aber es kam im Oktober 2023 der Moment, an dem sie wieder einmal ihre Sachen packen musste. Es war ihre dritte Umsiedlung. "Ich war mit meinen beiden Kindern spazieren, als ich drei bis vier Explosionen in der Nähe unseres Hauses hörte. Am nächsten Tag noch eine, und noch eine, und noch eine", erinnert sie sich. Es wurde zur Routine, von Luftangriffssirenen aufzuwachen, die sich manchmal sechs bis acht Mal am Tag wiederholten. „Das Schwierigste für mich als Mutter war, vor meinen Kindern so zu tun, als ob alles in Ordnung wäre und wir in Sicherheit wären", erklärt Tatiana.
An einem warmen Oktobermorgen nahm sie ihre beiden Kinder, schnappte sich einen Rucksack und packte ein paar Windeln ein, drei Flaschen Wasser und ein paar selbstgemachte Sandwiches und machte sich auf den Weg nach Westen. "Wir reisten 24 Stunden lang mit dem Zug von Sumy nach Czernowitz", sagt sie. "Du bewertest alles neu. Du hast keine Verbindung mehr zu materiellen Dingen und musst einfach loslassen", fährt sie fort.
Jetzt lebt die Mutter mit ihrer Tochter Simona, 10, und ihrem Sohn Eldar, der im Dezember seinen ersten Geburtstag feiert, in Czernowitz. Sie wohnen in einem Zimmer, das sie sich mit drei anderen vertriebenen Familien teilen. Tatiana hat sich kürzlich für das Bargeld-Hilfsprogramm von World Vision angemeldet, das von Aktion Deutschland Hilft (ADH) finanziert wird.
"In der Ukraine, wo der Konflikt zu erheblichen Vertreibungen geführt hat und Märkte noch funktionieren, ist eine solche Hilfe besonders wertvoll", erklärt Anzhela Vanzuriak, Leiterin der Bargeld- und Gutscheinprogramme von World Vision in der Ukraine. "Ein auf die spezifischen Bedürfnisse zugeschnittenes Bargeldprogramm ermöglicht es den Empfängern, ihre dringendsten Bedürfnisse zu befriedigen – wie Nahrung, Unterkunft, Medizin oder andere lebenswichtige Dinge, die je nach Situation des Einzelnen sehr unterschiedlich sein können", fügt sie hinzu. Wie Tatiana erklärt, ist die Grundausstattung für ein Kleinkind teuer geworden. Die Preise steigen, aber die Gehälter sind viel niedriger. "Mit dem Verdienst meines Mannes, den Sozialleistungen und der humanitären Hilfe können wir uns zu viert durchschlagen", erklärt sie. „Die Bargeldhilfe aus Deutschland bedeutet für unsere Familie sehr viel. Ich kann damit Winterkleidung kaufen, Lebensmittel und Windeln für den Kleinen."
Obwohl der Krieg ihr die Geborgenheit eines Zuhauses genommen, ihre Gesundheit verwüstet und sie von ihrem Mann getrennt hat, strahlt Tatiana am Ende unseres Gespräches Freude und Hoffnung aus. „Mitten im Krieg habe ich mein Baby gewiegt und ihm Schlaflieder zugeflüstert. Die Mutterschaft hat mich am Leben gehalten.“