Von Kyaw Kyaw*, Manager für Entwicklungszusammenarbeit bei World Vision Myanmar
(* Name zum Schutz der Person geändert)
Vor der aktuellen Krise begann mein Tag mit einem Morgengebet. Als Mitarbeiter einer Kinderhilfsorganisation empfand ich ein Gefühl der Befriedigung, wenn ich Gemeinden besuchte, mit Dorfentwicklungsausschüssen und Freiwilligen zusammenarbeitete, Hilfsgüter verteilte und dafür sorgte, dass sich Kinder sicher und gut versorgt fühlten.
Doch dann traf uns die weltweite Pandemie. Sie brachte viele Unterbrechungen und Hindernisse mit sich. Viele Familien gerieten durch Inflation, Nahrungsmittel- und Finanzunsicherheit und die Schließung von Schulen in große Schwierigkeiten. Als wir gerade soweit waren, ein Gefühl der Normalität in der Krise zu erlangen, kam plötzlich der politische Umsturz und mit ihm die Kämpfe. Die durch COVID verursachten Probleme wurden durch den politischen Konflikt noch verschärft.
Der Konflikt hat das tägliche Leben der Menschen ins Chaos gestürzt und ihre Lebensgrundlagen stark beeinträchtigt. Hunderttausende Menschen sind vertrieben worden und viele leben in Lagern. Der fehlende Zugang zu medizinischer Versorgung und Sicherheitsdiensten hat die Situation weiter verschlimmert.
Wenn ich jetzt aufwache, werde ich zum ersten Mal in meinem Leben von ängstlichen Gedanken überflutet. Da die Kämpfe in den letzten Monaten zugenommen haben, sind Schüsse, Nachrichten über Todesopfer und die Zerstörung von Eigentum unsere Realität geworden.
Jeden Tag werden die Probleme, die die politische und sozioökonomische Krise mit sich bringt, komplexer. Die größte Herausforderung sehe ich in den Auswirkungen auf die Kinder. Sie können seit etwa zwei Jahren nicht mehr zur Schule gehen. Der Zugang zum COVID-19-Impfstoff ist begrenzt. Selbst wenn Binnenflüchtlinge an COVID-19 erkranken, zögern sie, sich in einem Krankenhaus behandeln zu lassen, da sie sich entweder keine medizinische Behandlung leisten können oder befürchten, getötet oder inhaftiert zu werden und dass ihr Eigentum in Brand gesteckt wird. Die Panik, die das mysteriöse COVID-19-Virus ausgelöst hat, wurde durch die Angst und die Ungewissheit angesichts der Gewalt ersetzt.
Viele Menschen trauen sich nicht mehr zu Hause zu bleiben. Aus Angst um ihr Leben fliehen sie und lassen ihre Häuser zurück. Ich sehe Menschen, die weit weg vom Konflikt in sicherere Gebiete ziehen, in der Hoffnung, ihre Angehörigen in Sicherheit zu bringen. Für mich ist die Sicherheit der Mitglieder unserer Gemeinschaft von größter Bedeutung. Nur knapp entkommen die Dorfbewohner und ihre Familien oft den Kämpfen, Luftangriffen und Landminen und suchen sich sicherere Orte, entweder in ruhigeren Provinzen oder auch außerhalb des Landes.
"Ich finde Wege, um zu prüfen ob sie in Sicherheit sind"
Die humanitären Grundsätze, die wir als Entwicklungshelfer gelernt haben, helfen mir und meinen Kollegen, schwierige Situationen zu meistern und uns auf den Auftrag zu konzentrieren. Ich finde Wege, um mit den Dorfentwicklungsausschüssen, freiwilligen Helfern und den Bewohnern der Lager für Binnenvertriebene Kontakt aufzunehmen und zu prüfen, ob sie in Sicherheit sind.
Es braucht das Engagement der ganzen Welt, um Gewalt gegen Kinder in Myanmar zu beenden
Ich habe erlebt, wie widerstandsfähig die vertriebenen Menschen sind. Es ist eine unglaubliche Herausforderung, in intensiven Konfliktsituationen ruhig zu bleiben und für andere mit zu denken, aber ich habe gesehen, wie Menschen anderen helfen, einen sicheren Ort zu erreichen. Ihr unermüdlicher und unerschütterlicher Einsatz für ihre Gemeinschaft ist inspirierend. Als Ersthelfer arbeiten sie unablässig an der Sicherheit ihrer Gemeinden, indem sie Lebensmittelvorräte anlegen, ständig Nachrichten verfolgen, verlässliche Informationen mit anderen Vertriebenen teilen, sich gegenseitig helfen und bedürftigen Familien Lebensmittel und Unterkünfte zur Verfügung stellen. Anderen zu dienen ist ihnen in Fleisch und Blut übergegangen.
Eines Tages, als ich auf dem Heimweg war, sah ich zwei 12-jährige Kinder, die ein Loch in den Boden gruben. Ich blieb stehen und beobachtete, was sie da taten. Sie gruben immer tiefer und tiefer. Als ich sie fragte, was sie da tun, sagten sie, dass sie versuchen, einen Unterschlupf für ihre Familie zu bauen, damit sie vor Luftangriffen und Bomben geschützt sind. In einer solch schwierigen Situation versuchten die Kinder, mit den begrenzten Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen, Lösungen zu finden, um sich und ihre Familien in Sicherheit zu bringen. Diese Kinder haben mich gelehrt, wie Resilienz aussieht.
Wir müssen unseren Teil dazu beitragen, dass sich die Kinder, die durch den Konflikt vertrieben wurden, sicher fühlen. Deshalb ist die Arbeit von lokalen Helfern und nicht-staatlichen Organisationen zur Unterstützung der Unterdrückten und Schwachen so wichtig. Ich glaube, wenn wir alle zusammenarbeiten, um gefährdeten Kindern und ihren Familien zu helfen, werden sie widerstandsfähiger und können sich stärker erholen von einer Krise. Deshalb habe ich mich entschieden, für eine Organisation wie World Vision zu arbeiten, die an einigen der gefährlichsten Orte der Welt tätig ist, um gefährdeten Kindern und ihren Familien zu helfen.
Mein Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass auch vertriebene Kinder sich entwickeln können und Zugang zu ausreichender Ernährung, medizinischer Versorgung, Bildung, körperlicher und geistiger Sicherheit, Liebe und angemessenem Schutz haben. Ich bin stolz darauf, dass meine Organisation, World Vision, den am meisten gefährdeten Kindern hilft. Aber wir können dies nicht allein tun. Die nächste Generation zählt auf uns, um ihre Zukunft zu schützen. Ich bete aufrichtig, dass der Frieden wiederhergestellt wird und die Kinder den Heilungsprozess beginnen können. Es braucht das Engagement der ganzen Welt, um die Gewalt gegen Kinder in Myanmar zu beenden.
Hintergrundinformation
In Myanmar hat das Militär vor einem Jahr erneut die Macht übernommen. Zivile und bewaffnete Gruppen leisten Widerstand. Der politische Konflikt verschärft die Auswirkungen der Corona-Pandemie, die bereits viele Menschen um Arbeitsplätze und Ernährungssicherheit gebracht hat. Es wird geschätzt, dass rund 14,4 Millionen Menschen dieses Jahr humanitäre Hilfe benötigen. World Vision sorgt sich vor allem um das Leben und die Zukunft von rund 5 Millionen Kindern, die entweder durch Gewalt vertrieben wurden, traumatisiert, verletzt oder aktuell in Lebensgefahr sind.
World Vision arbeitet seit fast 30 Jahren in Myanmar und setzt Projekte in 12 von 14 Regionen um. Unsere Arbeit erreicht ca. 2 Millionen Menschen, darunter 475.660 Kinder. Wir unterstützen mit Entwicklungsarbeit vor allem den Aufbau von Existenzgrundlagen, die Verbesserung der Ernährungssicherheit und den Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung. World Vision unterstützt auch die am stärksten gefährdeten Kinder und ihre Familien durch Nothilfen, wie zum Beispiel Lebensmittel, Trinkwasser, Hygieneartikel und Bildungsmaterial für die Kinder. Aktion Deutschland Hilft finanziert eines der Nothilfeprojekte. Ferner bieten die Programme Schulungen zum Schutz von Kindern und Kinderrechten an und leisten Aufklärung über die Gesundheit von Jugendlichen und die reproduktive Gesundheit.