Paula Atimango strahlt Ruhe und Wärme aus. Wenn Frauen zu ihr in die Frauenklinik von World Vision gelangen, können sie aufatmen. Die engagierte Hebamme mit 11 Jahren Erfahrung leistet seit über einem Jahr Nothilfe-Einsatz im Transitzentrum in Renk, einer Stadt im Südsudan nahe der Grenze zum Sudan. Sie half bereits zahllosen Frauen und Familien in ihren kritischsten Momenten, z. B. wenn sie hochschwanger nach einer langen Flucht zu Fuß die Grenze überquert haben.
Paula Atimango liegt es am Herzen, dafür zu sorgen, dass jeder Einzelne in der Klinik eine würdige und respektvolle Behandlung erhält. Durch ihre Arbeit erlebt sie aus erster Hand, welche Auswirkungen der Krieg auf die Menschen hat. Und sie sieht außerdem, welche positiven Auswirkungen die Unterstützung von Spenderinnen und Spendern jeden Tag auf das Leben der Frauen und ihrer Familien hat. Im Interview berichtet sie von den Herausforderungen ihrer Arbeit nahe der Kriegsfront, wie sie Professionalität und Improvisationsgeschick vereint und was ihr in belastenden Situationen Kraft gibt.
Warum ist Ihr Einsatz im Transitzentrum unverändert notwendig?
Es kommen jeden Tag viele Frauen hilfesuchend zu uns in die Notklinik. Viele waren auf ihrer Flucht zwei Wochen oder länger zu Fuß unterwegs. Sie sind müde und haben Angst. Manche sind hochschwanger und suchen einen sicheren Ort für die Geburt ihres Kindes, andere haben unterwegs ein Kind zur Welt gebracht. Wir können hier Vor- und Nachsorge anbieten, Entbindungen unterstützen und häufige Krankheiten wie Malaria behandeln.
Wie sind Sie dazu gekommen Hebamme zu werden und für eine Hilfsorganisation zu arbeiten?
Ich bin Südsudanesin. Als Jugendliche habe ich meine Eltern verloren und meine Schwester und ich wurden von unseren Großeltern großgezogen. Wir lebten Anfang der 2000er in einem Lager in Uganda. Dort gab es viele Frauen, die in den Hütten Kinder bekamen und nicht wussten, was sie tun sollten. Also wurde meine Großmutter zur Hilfe gerufen. Sie half den Frauen bei der Entbindung. Da sie manchmal keine Handschuhe dafür hatte, infizierte sie sich mit HIV. Als ich älter wurde, begann sie zu erkranken. Inzwischen wissen wir, wie HIV übertragen wird. Und meine Großmutter gehörte seitdem zu den Frauen im Lager, die in der Gemeinschaft das Bewusstsein für sichere Entbindungen in Krankenhäusern und Gesundheitszentren schärften. Sie half vielen Frauen und ermutigte andere traditionelle Geburtshelferinnen, Handschuhe und Schutzkleidung zu tragen. Das hat mich wirklich inspiriert. Als ich die Möglichkeit bekam, zur Schule zu gehen, wurde mir klar, dass ich Hebamme werden und dadurch Müttern und Babys helfen möchte - und dass ich dabei helfen kann, die Verbreitung von Krankheiten wie AIDS zu unterbinden. Das ist es, was mich dazu gebracht hat, Hebamme zu werden. Das und die Tatsache, dass ich Babys einfach liebe.
In Uganda konnte ich relativ günstig und ohne Beeinträchtigung durch Krieg meiner Ausbildung nachgehen und in Frieden leben. Und danach entschied ich mich, in meine Heimat zurückzukehren, weil dort große Not herrschte und ich wusste, dass dort viele Menschen meine Hilfe, meine Fähigkeiten und meine Expertise brauchen.
Es ist eine herzzerreißende Situation, weil die Frauen nicht wissen, was mit ihnen geschehen wird und ob sie irgendwo unterkommen
Wie haben sich die täglichen Arbeitsanforderungen und die Ausstattung der Klinik mit der Zeit entwickelt?
Morgens warten oft schon Mütter, die bereits am Abend angekommen sind und seitdem warten. Manche haben Schmerzen, manche sind krank. Wir sind zwei Hebammen vor Ort und sehen meist 30, manchmal 40 Patientinnen am Tag. An einem guten Tag sind es 15. Wir wissen daher wirklich zu schätzen, was wir inzwischen an Ausrüstung haben, denn als wir die Notstation aufbauten, hatten wir nicht mal ein Bett oder ein Fetoskop. Wir hatten nur ein Zelt, in dem sich alle Mitarbeitenden aufhielten, und alle Leistungen, die wir erbrachten, wurden aus einer Hand angeboten. Wir haben nun mehrere Räume, Geräte und Material für Untersuchungen. So können wir den Müttern und Neugeborenen zumindest eine Grundversorgung geben. Trotzdem müssen wir oft improvisieren, vor allem in der Entbindungsstation.
Manchmal entbinden wir auf dem Boden. Manchmal kommen Frauen, die bereits Wehen haben und die nichts besitzen. Für die haben wir Gott sei Dank die sogenannten Mama Kits. Das sind Pakete mit Erstausstattung für Babys, mit denen wir die werdenden Mütter unterstützen können. Aber das reicht noch nicht, denn viele Frauen haben auch keine eigene Kleidung. Deshalb geben wir ihnen manchmal Bettlaken. Mit Medikamenten sind wir im Augenblick gut ausgestattet. Allerdings versorgen wir über 500 schwangere Frauen im Monat. Die Situation ist also herausfordernd, weil diese humanitäre Krise nicht genug Aufmerksamkeit bekommt und unsere Ressourcen sehr begrenzt sind. Unsere Hilfe mag nicht immer ausreichend sein, aber wir tun unser Bestes.
Wie sind die geflüchteten Frauen untergebracht?
Sie wohnen in provisorischen Gebäuden aus Zeltplanen oder Wellblech. Viele Frauen haben keine richtige Unterkunft. Wir sprechen dann mit der des Transit Zentrums und dann sehen wir, ob wir einen Platz für sie bekommen. Die Unterkünfte sind aber nicht sehr komfortabel und für Frauen, die gerade entbunden haben, auch nicht hygienisch. Andere bauen sich ihre eigenen Unterkünfte aus ihrer Kleidung. Sie stecken Stöcke in den Boden und hängen Stoffe darüber, um sich vor der Sonne zu schützen. Es ist aber alles offen. Viele Geflüchtete schlafen nachts im Freien. Die Regenzeit ist nun zwar vorbei, aber es regnet immer noch manchmal. Nach einer verregneten Nacht finden wir immer einige Frauen am nächsten Morgen komplett durchnässt und zitternd vor. Tagsüber können sie sich manchmal unter Überdachungen retten, aber da ist auch nicht viel Platz und sie müssen warten bis der Regen aufhört, um ihre Unterkünfte aus Klamotten wieder aufzubauen. Es ist wirklich eine harte Situation.
Welche Erfahrungen bringen die Frauen von ihrer Flucht mit? Und wie kann ihnen geholfen werden ihre Gewalterfahrungen zu verarbeiten?
Viele Frauen sind 14 Tage und Nächte zu Fuß unterwegs gewesen ohne Wasser und Nahrung und hatten nichts, als sie hier ankamen. Manche sind krank, weil sie verschmutztes Wasser vom Straßenrand getrunken haben. Sie wissen nicht was mit ihnen geschehen wird und ob sie irgendwo unterkommen. Besonders die schwangeren Frauen haben Sorge um ihr ungeborenes Kind und wie sie sich um es kümmern sollen. Einige erzählen, dass ihre Ehemänner und Kinder vor ihren Augen erschossen wurden. Ihnen wurde gesagt, dass sie am Leben gelassen wurden, weil sie schwanger sind und leiden sollen. Allein auf der Straße sind sie dann einem großen Risiko ausgesetzt. Sie erzählen davon, dass sie von Soldaten missbraucht und vergewaltigt wurden. Wenn sie hier ankommen, reden wir mit ihnen und behandeln sie.
Ich habe gelernt, dass die psychologische Betreuung sehr wichtig ist. Oft wird sie vernachlässigt, aber vor allem in Krisensituation ist sie eine der wichtigsten Hilfen. Du kannst Medikamente verabreichen. Du kannst ein gesundes Baby auf die Welt bringen. Aber wenn es der Mutter psychisch nicht gut geht, wird sich das auf ihre Gesundheit und auf die des Babys auswirken. Bei World Vision gibt es psychologische Ersthelfer und wenn ich eine hochbelastete Patientin habe, kann ich ihr auch helfen, da ich ebenfalls zur psychologischen Ersthelferin ausgebildet bin.
Was machen Sie im Falle von Komplikationen bei einer Geburt?
Das nächste Krankenhaus ist mit dem Krankenwagen zehn bis fünfzehn Minuten entfernt. Wir arbeiten mit Partnern zusammen, die den Krankentransport für die Transitzentren übernehmen. Wir müssen also nur einen Anruf tätigen. Allerdings kann es eine halbe Stunde bis Stunde dauern bis der Krankenwagen da ist. Und manchmal gibt es Verzögerungen, weil die Person am anderen Ende der Leitung die Dringlichkeit falsch einschätzt. Es gibt zwar ein staatliches Krankenhaus, das Kaiserschnitte durchführt, aber es ist trotzdem schwierig, die Patientinnen dorthin zu überweisen. Wir haben zwei Transitzentren und nur einen Krankenwagen für beide. Es kann also sein, dass der Krankenwagen gerade im anderen Zentrum im Einsatz ist. Dann können Notfallsituationen kritisch werden.
Was können Spenden bewirken, um die Lage zu verbessern?
Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie Spenden das Leben vieler Menschen in sehr kritischen Situationen schützen, zum Beispiel durch die Finanzierung der Gesundheitsleistungen, die wir anbieten. Ohne dieses Geld würde es das alles hier nicht geben. Und Spenden können uns auch weiterhin helfen, die Infrastruktur zu verbessern und mehr Personal für unsere Einrichtung einzustellen. Denn die Anzahl der Mütter, die zu uns kommen, ist überwältigend und wir sind nur wenige.
Weitere Spenden würden uns außerdem die Anschaffung von wichtiger Ausrüstung und Materialien wie zum Beispiel Stirnlampen und Entbindungsbetten ermöglichen, damit wir eine qualitativ hochwertige Versorgung leisten können. Wir würden auch, wenn möglich, gerne viele Mama Kits anschaffen. Für diejenigen, die keine Erstausstattung für ihr Baby haben, wäre das eine große Hilfe. Dann können sie ihr Baby nach der Geburt direkt in warme Kleidung stecken. Das macht sie so glücklich.
Können Sie uns Beispiele von Erlebnissen schildern, die Ihnen in ihrem Arbeitsalltag Kraft geben?
Jede erfolgreiche Geburt und jede Mutter, die ich glücklich mit ihrem Baby entlasse, ist ein solcher Moment. Aber besonders im Gedächtnis geblieben ist mir ein jugendliches Mädchen, das ins Transitzentrum kam, als die Krise gerade begann. Sie war kränklich als sie zu mir kam. Als ich mit ihr redete, stellte sich heraus, dass sie vergewaltigt wurde und schwanger war. Sie fühlte sich allein, hatte Selbstmordgedanken und wollte das Baby nicht behalten. Ich redete viel mit ihr. Dann verloren wir den Kontakt zueinander, als sie ins nächste Transitzentrum geschickt wurde und sich an der Grenze für Lebensmittelhilfen registrierte. Als sie wiederkam, war sie bereits hochschwanger. Und als ich sie ansah, merkte ich, dass sie einen ganz anderen Gesichtsausdruck hatte, hoffnungsvoller. Sie sagte mir, dass sie sich nach unserem Gespräch Gedanken gemacht hatte, mit ihren Eltern redete und sich entschied, dass sie sich um das Kind kümmern möchte. Sie war glücklich und ihr Gesicht leuchtete. Letzten Monat brachte sie einen Jungen zur Welt und sie hat ihn nach mir benannt.