World Vision: Zwangsverheiratung von Minderjährigen ist eine massive Verletzung der Kinderrechte
Erzwungene Eheschließungen betreffen Millionen Kinder – schwere körperliche und seelische Risiken sind die Folge
Berlin, 02.06.2022
Im Rahmen ihrer weltweiten Kampagne „Hände weg von meiner Kindheit“ macht die internationale Kinderhilfsorganisation World Vision am Brandenburger Tor in Berlin auf das Problem der Zwangsverheiratung von Minderjährigen aufmerksam. Etwa 650 Millionen Mädchen und 115 Millionen Jungen wurden vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet - so die Schätzung von Unicef.
Armut, Flucht sowie Kriege und Konflikte sind die häufigsten Ursachen für die Zwangsverheiratung von Kindern. Auf der Flucht sind unverheiratete Mädchen einer größeren Gefährdung von sexualisierter Gewalt und Ausbeutung ausgesetzt, weshalb viele Familien ihre Töchter mit einem Mann verheiraten, der ihnen Schutz bieten soll.
Auch die Corona-Pandemie sorgt für einen Anstieg von erzwungenen Eheschließungen: Viele Eltern haben keine Möglichkeit, ihre Kinder zu versorgen und entscheiden deshalb, sie früh zu verheiraten.
Manche Kinder werden bereits bei ihrer Geburt von ihren Eltern einer anderen Familie versprochen, um familiäre Bande aufrecht zu erhalten oder damit Grundbesitz in der Familie bleibt.
Jungen sind in geringerem Maß betroffen; dennoch werden Millionen von ihnen ungewollt in Ehen mit einem Mädchen oder einer Frau gezwungen, beispielsweise um das traditionelle Bild nach außen zu wahren, wenn ihnen eine homosexuelle Neigung zugeschrieben wird. In vielen Ländern steht Homosexualität nach wie vor unter Strafe oder ist gesellschaftlich geächtet.
Eine Zwangsverheiratung bedeutet das abrupte Ende der Kindheit und hat verheerende Auswirkungen auf die betroffenen Kinder: In den meisten Fällen geht sie einher mit einem Schulabbruch: Mädchen gehen nicht mehr zur Schule, da sie sich von nun an um den Haushalt kümmern müssen. Von den Jungen wird erwartet, dass sie arbeiten, um ihre Familie zu versorgen. Eine weitere Auswirkung ist meist eine frühe Schwangerschaft. In den am wenigsten entwickelten Ländern bekommen etwa 12 Millionen junge Frauen ihr erstes Kind vor dem 18. Geburtstag. Eine erzwungene Ehe kann auch Gewalt mit sich bringen: Viele zwangsverheiratete Kinder geben an, dass sie physischer und sexueller Gewalt in der neuen Familie ausgesetzt sind.
Gudrun Schattschneider, Leiterin Politik und Fachlichkeit bei World Vision: „Zwangsverheiratung ist ein Verstoß gegen die Menschenrechte. Jeder Fall ist ein Fall zu viel. Darum ist es eine globale Aufgabe, weltweit Lebensbedingungen zu schaffen, die ein Aufwachsen in Frieden und Freiheit ermöglichen. Jedes Mädchen und jeder Junge auf dieser Welt haben ein Recht auf Gesundheit, Bildung, Gewaltfreiheit und Selbstbestimmung.“
Das Kindeswohl und das Mitspracherecht eines Kindes haben laut Kinderrechtskonvention höchste Priorität (Artikel 3 und 12). Eine Zwangsverheiratung verletzt somit konkret nicht nur das Mitsprache- und Selbstbestimmungsrecht eines Kindes, sondern auch sein Recht auf Gesundheit, sein Recht auf Bildung, sein Recht auf Schutz vor Gewalt, Missbrauch und Ausbeutung und nicht zuletzt sein Recht auf Erholung, Spiel und Freizeit.
196 Staaten haben die Kinderrechtskonvention unterzeichnet und sich dem Kinderschutz verpflichtet - so auch Deutschland. Daher fordert World Vision Deutschland e.V. die deutschen Politikerinnen und Politiker dazu auf, eine stärkere Führungsrolle bei der Beendigung von erzwungener Frühverheiratung zu übernehmen: Erstens soll die Bundesregierung ihren diplomatischen Einfluss nutzen, um ein Bewusstsein für das erhöhte Risiko von Zwangsverheiratung im Fluchtkontext und in der Covid 19-Pandemie zu schaffen und mehr Ressourcen in der humanitären Hilfe bereitstellen. Zweitens sollte Armut nachhaltig bekämpft werden, da diese eine der Hauptursachen von Zwangsverheiratung darstellt. Hierfür soll die deutsche Politik soziale Systeme stärken und Ernährung sichern, insbesondere in Ländern, die am schwersten von der Covid 19-Pandemie betroffen sind. Drittens sollte Deutschland in den Ausbau lokaler Bildungssysteme investieren, weil Bildung der Schlüssel aus der Armut und damit auch zur Unabhängigkeit ist. Auch für Schwangere, minderjährige Mütter sowie für verheiratete Jungen sollten Möglichkeiten geschaffen werden, damit diese ihre Ausbildung fortsetzen können. Viertens sollte Deutschland mehr Projekte finanzieren, die Kinder über ihre Rechte aufklären, Kinderpartizipation fördern und Präventionsarbeit ermöglichen.
In Projekten sowie in Kinderschutz-Kampagnen sensibilisiert World Vision Eltern und Kinder über die Risiken einer Zwangsverheiratung von Minderjährigen. Jugendclubs werden darin unterstützt, sich mit Kinderrechten auseinander zu setzen und sich für sie einzusetzen. World Vision klärt Mädchen und Jungen über sexuelle und reproduktive Gesundheit auf. Unsere Organisation arbeitet darüber hinaus mit religiösen Führungspersonen zusammen, die ihre Gemeinden vor Kinderrechtsverletzungen warnen und oft dazu beitragen, die Zwangsverheiratung eines Kindes zu verhindern. In der langfristigen Entwicklungszusammenarbeit bekämpft World Vision Armut und Fluchtursachen und fördert Bildungsmaßnahmen.