World Vision: Ukraine stehen neue Fluchtbewegungen bevor
Urlaubssaison zwingt geflüchtete ukrainische Familien zum Verlassen von Hotels in Rumänien und Bulgarien
Wirtschaftlicher Druck und Kürzungen bei Hilfen veranlassen Menschen dazu, an unsichere Orte zurückzukehren
Kiew / Friedrichsdorf, 24. Juli 2022
Heute vor 5 Monaten begann die Invasion in die Ukraine. Eine große Anzahl von Ukrainern und Ukrainerinnen macht sich inzwischen zurück auf den Weg in die Heimat – trotz der Gefahren. Wirtschaftlicher Druck sei einer der Hauptgründe, weil die Hilfen für Geflüchtete in einigen Ländern zurückgefahren wurden und die persönlichen Ersparnisse erschöpft seien, erklärt die internationale Kinderhilfsorganisation World Vision. Auch die Urlaubssaison zwingt Geflüchtete dazu an neuen Orten Schutz zu suchen, weil sie die kostenlos bereitgestellten Hotelzimmer in den Küstenstädten Rumäniens und Bulgariens oder auch an anderen Tourismusorten aufgeben müssen.
Viele Familien aus der Ostukraine haben jede Hoffnung verloren, in ihre Heimatdörfer und -Städte zurückkehren zu können. Sie sind darauf angewiesen, entweder bei Verwandten unterzukommen oder Wohnraum zugewiesen zu bekommen. Oft stehen jedoch nicht genügend Unterkünfte zur Verfügung.
Interviews, die World Vision mit Geflüchteten führte, zeigen, dass 45 % der Vertriebenen nicht wissen, wie lange sie in der Stadt, in der sie Zuflucht gefunden haben, bleiben können. Die Umfrage ergab, dass ein Viertel (24 %) Miete zahlt, 37 % bei Gastfamilien untergekommen sind und 25 % in Sammel-Notunterkünften wie Schulen, Krankenhäuser und Kirchen Zuflucht gesucht haben. Mehr als die Hälfte der Eltern nannte den Mangel an Arbeit und Einkommen als ihre Hauptsorge. Besonders besorgniserregend ist, dass sich 3% der Familien genötigt sehen, betteln zu gehen.
Eleanor Monbiot, Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Osteuropa bei World Vision, erläutert: „Wir beobachten, dass viele Menschen mehrfach gezwungen sind, Dörfer und Städte, in denen sie vorübergehend Zuflucht gefunden haben, wieder zu verlassen. Dies bedeutet, dass die Kinder erneut entwurzelt werden und ihr jetziges Leben und alle unterstützenden Strukturen, die sich um sie herum gebildet haben, unterbrochen werden.“
Monbiot beklagt, dass es zwar zu Beginn des Krieges überwältigende Unterstützung für die Menschen aus der Ukraine gab, dass die Geflüchteten nun aber zunehmend unter Druck stehen und einer unsicheren Zukunft entgegensehen. So sei z.B. die kostenlose Unterbringung in Hotels oder bei Gastfamilien nicht mehr tragbar. Für die Menschen und besonders die Kinder gebe es keine Normalität, zu wenig Ansprechpartner, die Unterstützung leisteten und nach wie vor sei unklar, ob Kinder wieder zur Schule gehen könnten.
In der Ukraine leben aktuell 6,3 Millionen Menschen aufgrund des Krieges außerhalb ihrer Heimatorte, was trotz großen lokalen Engagements zu einer enormen Wohnungskrise geführt und die Mietpreise in die Höhe getrieben hat. „Was sich jetzt abzeichnet ist eine neue Krise, die auf die erste Krise folgt. Und dies ist erst der Anfang“, so Monbiot. „Die Kinder werden die Auswirkungen langfristig zu spüren bekommen - dies erfordert eine nachhaltige und umfassende Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft."
Als größte Sorge bezeichnen ukrainische Eltern die psychische Gesundheit ihrer Kinder. Der neue World Vision-Bericht „No Peace of Mind“ zeigt, dass 1,5 Millionen Kinder durch den Krieg in der Ukraine von psychischen Problemen wie Angstzuständen oder Depressionen bedroht sind.
Laut Monbiot geht World Vision nun von der Phase der Nothilfe in die der längerfristigen humanitären Hilfe über und bereitet sich auf eine steigende Anzahl Menschen vor, die Unterstützung benötigen. „Viele Menschen kehren trotz der Gefahren in ihre Heimat zurück. Programmpartner in Moldawien berichten jedoch, dass einige Geflüchtete in die Ukraine zurückgekehrt sind, nur um festzustellen, dass die Bedingungen dort noch schlechter sind. Das hat sie wieder dazu veranlasst, nach Moldawien zurückzukehren. Zahlreiche Menschen sind auch in Studentenwohnheimen und Schulen untergebracht. Diese Unterbringung ist nicht mehr gesichert, sobald das neue Schuljahr beginnt."