Kinder vor Gewalt schützen
Den Schmerz nicht an die nächste Generation weitergeben
Addis Abeba, 6. Februar 2017.
Mehr als 200 afrikanische Führungspersönlichkeiten – darunter Minister, Botschafter, Religionsführer und NGO-Vertreter – haben sich zu einem gemeinsamen Engagement und enger Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Kindern verpflichtet. Auf Einladung der Kinderhilfsorganisation World Vision kamen sie am Internationalen Tag zur Bekämpfung von Genitalverstümmelung in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba zusammen. Auch Kinder und Jugendliche wurden bei dem Treffen einbezogen.
„Es geht uns um ein entschiedenes gemeinsames Vorgehen, mit dem wir Gewalt fördernde Einstellungen, Überzeugungen und Verhaltensweisen herausfordern wollen“, sagte Kevin Jenkins, Präsident von World Vision International bei dem Treffen in Addis. „Wenn man zulässt, dass der Routine-Zyklus von Generation zu Generation fortgeführt wird, behindert man das Fortkommen von Kindern in jeder Weise. Eltern, Lehrer und Autoritäten, die in dem Glauben erzogen wurden, dass es normal ist, Gewalt gegen Kinder einzusetzen, neigen dazu, dies auch zu praktizieren, bis jemand einschreitet und mit guten Argumenten ‚Schluss damit‘ fordert.“
Genitalverstümmelung verletzt Körper und Seele
Für Mädchen will World Vision mit der Initiative neben einem besseren Schutz vor zu früher Heirat vor allem die Beendigung der Genitalverstümmelung erreichen. Millionen Mädchen werden jedes Jahr Opfer dieser von den Familien veranlassten Verletzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit. Den Mädchen wird dabei meist die Klitoris entfernt, bei anderen Formen der Beschneidung werden auch die Schamlippen abgetrennt. Als Folge des Eingriffs leiden viele Mädchen und Frauen unter vielen gesundheitlichen Problemen, Schmerzen und seelischen Verletzungen.
In vielen Kulturen markierte die Beschneidung ursprünglich den Übergang vom Mädchen zur Frau und war mit entsprechenden Initiationsriten verbunden. Heute wird die Praxis eher aus der Tradition her fortgeführt, aber auch mit Hygiene-Vorstellungen, sozialen Verpflichtungen und religiösen Vorschriften begründet. Unbeschnittene Mädchen und Frauen müssen den Ausschluss aus ihrer Gemeinschaft befürchten, da sie als unrein und nicht heiratsfähig gelten. Aufgrund zunehmender Information und gesetzlicher Verbote lassen viele Familien ihre Töchter heute heimlich und im Kleinkindalter beschneiden.
Eindringlich schilderte die senegalesische Musikerin Sister Fa ihre eigene Erfahrung und rief zum Handeln auf. Sie durfte als vierjährige bei dem Eingriff nicht schreien, denn sonst hätte sie nach Aussage ihrer Mutter die Ehre der Familie beschmutzt. Sie kniff also ihre Lippen zusammen, aber sie akzeptierte nicht, dass über den Tod anderer betroffener Mädchen in ihrem Umfeld geschwiegen wurde. Das Schweigen gegenüber dem Unrecht machte sie rebellisch. Sister Fa verurteilt nicht und tritt dennoch sehr entschieden auf, wenn sie Eltern und einflussreichen Autoritäten ins Gewissen redet. „Meine Mutter wollte mir mit der Beschneidung beweisen, dass sie mich liebt, und ich sage allen, dass sie sich wie Millionen anderer Mütter einfach geirrt hat“.
In Zusammenarbeit mit World Vision nutzt Sister Fa ihren besonderen Zugang zu jungen Menschen durch ihre multikulturelle Musik, und sie ermutigt Kinder dazu, mit den Mitteln der Kunst ihre Erfahrungen auszudrücken. Seit 2013 unterstützt sie ein gemeinsames Projekt regelmäßig Aktivitäten im Süd-Senegal, wo etwa 90 Prozent der 15- bis 49-jährigen Mädchen und Frauen beschnitten sind. Im vergangenen Jahr konnten etwa 700 Kinder und Erwachsene erreicht werden, und in wenigen Tagen wird Sister Fa erneut als Kinderschutz-Botschafterin aufbrechen.
World Vision strebt im engen Kontakt mit der Jugend und den afrikanischen Gemeinden einen nachhaltigen Sinnes- und Verhaltenswandel ein. Diesen fördert ein ganzheitlicher Ansatz, bei dem Maßnahmen wie diese möglichst alle Einfluss nehmenden Gruppen ansprechen:
- Förderung von Bildung und positiven Rollenvorbildern
- Dialogforen, die die junge und die ältere Generation zusammen bringen
- Zusammenarbeit mit Kinderrechte-Clubs und Frauengruppen
- Workshops mit Lehrern und Religionsautoritäten zur Thematisierung von Gewalt gegen Kinder und zu möglichen Gegenmaßnahmen
- Lobbyarbeit bei Bürgermeistern und lokalen Politikern zur Umsetzung von Aktionsplänen
- Stärkung lokaler und regionaler Kinderschutz-Gremien
- Zusammenarbeit mit Gesundheitsstationen bei der Aufklärung über die Gesundheitsrisiken
- Mobilisierung lokaler Künstler und Medien für eine Kampagne
- Gewinnung von Großmüttern als „Patinnen des Wandels"