Zwangsprostitution beenden - Zukunft schenken
Es ist ein typischer Abend für die damals siebenjährige Malaika (Name geändert) aus dem Kongo: Sie lebt allein, auf der Straße. Ihre Mutter ist verstorben, ihren Vater hat sie seit langem nicht mehr gesehen. Um nicht zu verhungern, handelt sie mit Kleinigkeiten an der Straße. Streichhölzern, Keksen. „Dann kommt plötzlich ein Transporter, sie greifen und verschleppen mich. Und ich komme zu den Mai Mai.“
Mai Mai – das sind Dorfmilizen, einstmals gegründet, um die kleinen, ländlichen Siedlungen gegen Angriffe von Rebellen und Regierungssoldaten zu schützen. Manche dieser Mai Mai gehen schließlich genauso brutal und rücksichtslos gegen vermeintliche oder echte Gegner los, wie ihre Feinde. Die Mai Mai Vurondo gehört zu den besonders brutalen Gangs in der der Region.
Bevor sie in den Kampf ziehen, fallen sie über Malaika her. Schlagen sie, vergewaltigen sie, lassen Angst und Wut an ihr aus. Die Kindersoldaten der Miliz Mai Mai Vurondo holen sich so das Selbstvertrauen, um mit Speeren und Messern bewaffnet gegen Soldaten und andere Milizen oder auch gegen Kinder und Frauen in anderen Dörfern loszuziehen. Malaika lassen sie zurück, sie soll nicht kämpfen, sie soll weiter als Sklavin für sie arbeiten.
Malaika wird an einen der Mai Mai-Kämpfer „verheiratet“, der sie vergewaltigt und als Sklavin missbraucht. Ist ihr „Ehemann“ nicht im Lager, fallen die anderen Jungs über sie her. „Damals weiß ich gar nicht, was Sex überhaupt ist, ich bin doch noch ein Kind. Es tut so weh. Und es ist so demütigend. Ich darf nichts fühlen, sonst überlebe ich nicht.“ Mehrfach versucht Malaika zu fliehen. Sie wird wieder eingefangen und zusammengeschlagen. Beim Angriff einer rivalisierenden Mai Mai-Gruppe auf ihr Lager wird Malaika mit einem Speer verletzt, trotz großer Schmerzen muss sie weiter ihre Sklavendienste verrichten.
Vier Jahre dauert dieses Martyrium – und dann wird es noch schlimmer. Eines Morgens, Malaika ist mittlerweile elf Jahre alt, ziehen die Mai Mai wieder in den Kampf. Sie bleibt im Lager zurück, mit anderen Sklavinnen, nur ein Kämpfer bewacht sie. Malaika flieht in den Busch, kämpft sich durch Gestrüpp, Schlamm und unbekannte Gebiete zur nächstgrößeren Stadt Beni. Ihre Flucht gelingt. Ihr Elend geht weiter. „Ich komme einige Wochen bei einer Tante unter. Für die bin ich aber nur eine Last, sie behandelt mich schlecht, ich bekomme nichts zu essen.“
Dann hört sie von Freundinnen, die in einem Bordell arbeiten, dass man dort immerhin zu essen bekommt. Das ist mehr, als sie jetzt hat. Sie geht dorthin, die Besitzerin nimmt sie auf. Und wieder wird sie zur Sklavin. Muss mit zwölf Männern täglich Sex haben, manchmal mit mehreren gleichzeitig, verweigern darf sie sich nicht, auch wenn die Männer Dinge von ihr wollen, die ihr weh tun, die sie abstoßen. Gegen den Schmerz nimmt sie Drogen: „Marihuana, Schlaftabletten, Alkohol. Alles, was vergessen lässt.“
20 dieser Quartier Generale genannten Bordelle gibt es allein in Beni. Manche von ihnen haben Kontaktleute in den Behörden, werden vor Razzien gewarnt. Niemand geht ernsthaft gegen diese Kinderpuffs vor. Ein Wachmann verhindert, dass die acht Mädchen aus dem Bordell fliehen können. Malaika ist mit ihren elf Jahren die Jüngste, die anderen Mädchen sind zwischen 14 und 17 Jahre alt. Ihre Freier sind zwischen 20 und 60 Jahre alt. Kondome wollen sie selten nutzen; die Mädchen müssten sie auch selber kaufen. Geld haben sie aber keines, denn von den drei US-Dollar pro Kunde sehen sie nichts, alles geht an die Besitzerin des Bordells. Die Mädchen bekommen nur Essen und dürfen im Bordell schlafen.
Ein Leben außerhalb des Bordells ist nicht weniger hart. Es gibt kaum Essen, schlafen müssen die Kinder in irgendeiner Ecke. Ohne Schutz, ohne Perspektive. Dennoch will Malaika raus aus dem Bordell. Doch erst als sie schwanger wird, darf sie gehen. Für die Bordellbesitzerin ist sie jetzt wertlos. „Ich habe mein Kind, meinen Sohn geboren. Und kurz danach vom Rebound-Projekt von World Vision erfahren. Das war meine, unsere Rettung.“
Im Rebound-Projekt werden ehemalige Kindersoldaten und Kinderprostituierte aufgefangen, stabilisiert und ausgebildet. „Nur, wenn wir den Kindern und Jugendlichen eine Perspektive bieten, können wir ihnen dauerhaft ein besseres Leben ermöglichen“, erklärt Ignace Ngwasi Kavanga, Kinderschutzbeauftragter im Rebound-Zentrum. Im Zentrum werden durchschnittlich 80 Kinder psychosozial betreut, hier lernen sie lesen, schreiben und rechnen und sie bekommen eine Berufsausbildung, unter anderem als Mechaniker, Schuhmacher, Friseurin oder Schreinerin. Manche von ihnen leben in Gastfamilien, die von World Vision organisiert werden, andere sind bei Verwandten untergekommen.
Ignace: „Zunächst machen wir den Kindern klar, dass es nicht ihre Schuld ist, was passiert ist. Ob sie als Prostituierte gearbeitet oder als Kindersoldaten Menschen umgebracht haben. Kinder haben keine Schuld. Es ist wichtig, ihr Bewusstsein für ihren Wert als Mensch zu steigern.“ Dann lernen die Kinder und Jugendlichen das, was sie für ihr neues Leben an Qualifikationen benötigen.
Ist die Ausbildung abgeschlossen, können sie als Gruppe zu viert oder fünft ein kleines Geschäft eröffnen, mit finanzieller Hilfe von World Vision. Auch Malaika will mit Freundinnen aus dem Rebound-Projekt einen kleinen Laden aufgemacht. Noch ist sie im Trainingsprogramm als Näherin. „Mein Traum ist es, ein respektiertes Mitglied der Gesellschaft zu werden. Mein Kind soll zur Schule gehen und Geschäftsmann werden. Und das schaffen wir auch allein. Einen Mann brauche ich dazu bestimmt nicht.“